Cormac McCarthy: Tod eines Genies

Es liegt ungefähr ein Jahr zurück, dass ich den gestern verstorbenen Autor Cormac McCarthy entdeckt habe. Jemand behauptete, „Die Abendröte im Westen“ sei ein Roman ohne Plot. Vermutlich stimmt das: Der Protagonist (ein sehr junger Mann) trifft in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf eine Gruppe Freischärler. Sie ziehen im Grenzgebiet zwischen Texas und Mexiko herum, ermorden Hunderte Indianer und Mexikaner – und werden von ihnen gejagt.

Der Autor Cormac McCarthy
 

Führer dieser Gruppierung ist Richter Holden, ein origineller Charakter, der sehr eloquent seine eigenen Vorstellungen von Moral und Sinn zum besten gibt. Hier ein Zitat:

Stellen Sie sich zwei Kartenspieler vor, deren einziger Einsatz ihr Leben ist. Man weiß ja von solchen Geschichten. Einer der Spieler deckt sein Blatt auf. Für ihn hat das ganze Universum auf diesen knisternden Moment zugearbeitet, wo sich entscheidet, ob er von der Hand seines Gegners sterben muss oder umgekehrt. Gibt es eine gültigere Aussage über den Wert eines Menschen? Diese höchste Steigerung des Spiels schließt jeden Gedanken an eine zufällige Fügung des Schicksals aus. Die Begünstigung des einen gegenüber dem anderen ist absolut und unwiderruflich; nur ein Dummkopf würde bestreiten, dass hinter einer so grundlegenden Entscheidung ein tieferer Sinn oder eine höhere Macht steckt.

Am Ende einer langen Irrfahrt stürmt Richter Holden nackt das Zimmer des jungen Mannes in einem Motel, um ihn zu ermorden.

Zweig

Was ist der Sinn eines solchen Lebens voller Sehnsucht, Mord, Gewalt und Abenteuer? Das Leben selbst wuchert in den Büchern von McCarthy und wird scheinbar sinnlos und mutwillig verschwendet.

Momentan lese ich hin und wieder den Roman „Verlorene“, der im Knoxville der 1950er Jahre spielt: Cornelius Suttree ist ein gescheiterter College-Absolvent, der zu viel trinkt und sich als Fischer auf dem Fluss durchschlägt. Er trinkt, prügelt sich, muss seinen kleinen Sohn begraben, wurde von seiner Familie ausgestoßen und landet manchmal im Gefängnis.

Auch dieses Buch ist so poetisch geschrieben, dass einen die Sprache manchmal fast erschlägt:

Wie eindeutig die Toten den Tod hinter sich haben. Die Lebenden tragen ihn immer mit sich. Ein Grauen wie der unheimliche Vorgeschmack einer bitteren Erinnerung. Aber die Toten erinnern sich nicht, und das Nichts ist kein Fluch.

Kringel

Der äußerst intelligente Autor einer Reihe brutaler Bücher wurde 1933 geboren. Es soll bis zu seinem 60. Lebensjahr gedauert haben, bis er literarischen Erfolg hatte. Auf dem Weg dahin litt er Not, wurde von seiner Frau verlassen und schlug doch Möglichkeiten aus, auf leichte Weise (etwa mit Vorträgen) Geld zu verdienen.

Cormac McCarthy war Mitglied des Santa Fé Institute und dachte gern gemeinsam mit Physikern und Philosophen über die Natur dieser Welt nach. Seine Ende 2022 erschienenen Romane „The Passenger“ und „Stella Maris“ enthalten Gedanken uns den Welten der Psychopathologie und der Quantenphysik. Sie stehen auf meiner Leseliste.

Auf YouTube findet man Gespräche McCarthys mit dem Regisseur Werner Herzog.

Einen kleinen Blick auf den Autor hinter den Büchern konnte man auch werfen, als Oprah Winfrey ihn interviewte.

Strich

Weitere bekannte Werke sind die Grenzland-Trilogie, der erfolgreich verfilmte Roman „Die Straße“ und „No Country for Old Men“.


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