Serotonin: Houellebecqs Roman über Existenzangst und Nihilismus

Serotonin ist ein vielseitiges Hormon und ein wichtiger Neurotransmitter. Es steht für die Depression des Protagonisten in Michel Houellebecqs 2019 erschienenen Roman.

Ich muss zugeben, es hat gedauert, bis ich einen Zugang zu diesem Buch gefunden habe. Teile des Anfangs wirken schlampig recherchiert.

Aber Michel Houellebecq ist ein guter Beobachter und Beschreiber gesellschaftlicher Entwicklungen. Er ist auch (glaube ich) ein Autor mit Herz, der sich nicht scheut, zu zeigen, worunter seine Figuren leiden.

Titelbild: Serotonin

Quelle: dumont-buchverlag.de

Handlung

Ein 46-jähriger Agraringenieur namens Florent-Claude ist mit seinem Leben ziemlich fertig. Er hat etwas Geld, aber er ist depressiv und impotent.

Er beschließt, sein Leben zu verlassen, kündigt seinen Job und verlässt seine um zwanzig Jahre jüngere japanische Lebensgefährtin, ohne zu sagen, wohin er geht.

Sein Weg führt ihn in die Normandie, wo ein kiffender und Whisky trinkender Studienkollege Aymeric als Großbauer tätig ist. Dieser gutaussehende Mann in seinen Vierzigern ist überarbeitet und wird sozusagen durch die in der EU herrschende Ideologie des Freihandels um jeden Preis langsam erdrückt. Außerdem verlässt ihn seine Frau mit den beiden Töchtern, nachdem sie eine Affäre mit einem in London lebenden Pianisten begonnen hat.

Aymeric ist Abkömmling eines über 800 Jahre alten Adelsgeschlechts. Er wird zu einer Symbolfigur des verzweifelten Kampfes der Bauern, weil er sich auf einer Demonstration selbst erschießt.

Das wirbelt einigen Staub auf. Jedoch ist abzusehen, dass er dadurch bei den zynischen und ideologisch verblendeten Bürokraten, die seine Situation verursacht haben, auf die Dauer nichts bewirken wird.

Sein Freund, der Ich-Erzähler des Romans, zieht sich nach diesen Ereignissen zurück in eine Mietwohnung, wo er von seinen Ersparnissen lebt und sein Leben sozusagen langsam auslaufen lässt.

Einige Zitate

[...] ich fand, da verrante er sich jetzt etwas, triftiger wäre der Hinweis gewesen, dass sie nicht mehr vögelten und dass das der Kern des Problems war, die Frauen sind weniger käuflich als mitunter behauptet, was Schmuck betrifft, kaufst du ihnen hin und wieder irgendwelchen afrikanischen Tand, aber wenn du sie nicht mehr vögelst, wenn du sie nicht mal mehr begehrst, dann wird es riskant, und das wusste Aymeric, mit Sex kann alles gelöst werden, ohne Sex gar nichts mehr, aber ich wusste, er würde nicht darüber sprechen, unter keinen Umständen, nicht mal mit mir, wahrscheinlich gerade nicht mit mir, mit einer Frau hätte er vielleicht darüber geredet, aber darüber zu reden hätte ehrlich gesagt auch nichts gebracht und wäre sogar kontraproduktiv gewesen, Salz in die Wunde reiben war nicht die richtige Option, ich hatte natürlich schon am Vorabend begriffen, dass seine Frau ihn verlassen hatte, und den Tag über hatte ich Zeit gehabt, einen Gegenschlag vorzubereiten, ein konkretes Projekt auszuarbeiten, aber jetzt war noch nicht der Augenblick, um darauf zu sprechen zu kommen, ich steckte mir noch eine Zigarette an.

 

„Nun...“ Er warf wieder einen Blick auf das Blatt, einen etwas verstörten Blick, es kam mir vor, als würde er seinen eigenen Berechnungen nicht mehr richtig vertrauen, bevor er mich wieder ansah und unvermittelt sagte: „Haben Sie mal über Nutten nachgedacht?“

 

Gott hatte mir ein schlichtes, meiner Ansicht nach unendlich schlichtes Wesen verliehen, es war vor allem meine Umwelt, die komplex geworden war, und nun war ich bei einem Zustand zu hoher Weltkomplexität angekommen, ich konnte die Komplexität der Welt, in die ich geworfen war, schlicht nicht mehr ertragen, und auch mein Verhalten, das ich nicht zu verteidigen suche, wurde unverständlich, anstößig und erratisch.


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